Vertragsprinzip

Nach § 311 Abs. 1 BGB ist zur Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft sowie zur Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses (und außerdem zu seiner Aufhebung) ein Vertrag zwischen den Beteiligten erforderlich (Vertragsprinzip), soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt. § 311 Abs. 1 BGB leitet die Bestimmungen des BGB über Schuldverhältnisse aus Verträgen ein. Die Vorschrift bekräftigt für das BGB das spätestens im 19. Jahrhundert zur allgemeinen Anerkennung gelangte sog. Vertragsprinzip, nach dem die Gestaltung der schuldrechtlichen Beziehungen der Beteiligten grundsätzlich ihrem gemeinsamen Willen unterliegt. Mit den „Beteiligten“ meint das Gesetz deshalb in § 311 Abs. 1 BGB die Rechtssubjekte des zukünftigen, des abgeänderten oder (wie zu ergänzen ist) des aufgehobenen Schuldverhältnisses, und zwar im Gegensatz zu unbeteiligten Dritten. Grundlage des Vertragsprinzips ist der in der Regel auf Art. 2 Abs. 1 GG gestützte Grundsatz der Vertragsfreiheit. Die wichtigsten Bestandteile des Vertragsprinzips sind dementsprechend (als Erscheinungsformen der Vertragsfreiheit) die positive und die negative Abschlussfreiheit, die inhaltliche Gestaltungsfreiheit sowie die Formfreiheit von Schuldverträgen, immer, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Damit ist zugleich gesagt, dass einseitige Rechtsgeschäfte im Regelfall keine verpflichtende Wirkung haben. Von diesem Grundsatz gibt es jedoch wichtige Ausnahmen.

Das Vertragsprinzip gewährleistet, dass Schuldverhältnisse grundsätzlich nur zwischen den an dem Abschluss des Vertrages Beteiligten begründet, geändert und aufgehoben werden können, so dass Dritte, die an derartigen Rechtsgeschäften nicht durch eigene Willenserklärungen mitgewirkt haben oder für die nicht auf Grund wirksamer gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht gehandelt wurde, dadurch in der Regel weder berechtigt noch verpflichtet werden (vgl. die klassische Formulierung in Art. 1134 Abs. 1 Code civil). Verträge zu Lasten Dritter sind damit grundsätzlich ausgeschlossen. Keine Ausnahmen von dem Vertragsprinzip bedeuten die vom Gesetz durch die §§ 328 ff. BGB zugelassenen Verträge zu Gunsten Dritter sowie die in Parallele zu diesem Rechtsinstitut entwickelten Verträge mit Schutzwirkungen zu Gunsten Dritter.

§ 311 Abs. 1 BGB hebt ausdrücklich hervor, dass das Vertragsprinzip nur innerhalb der vom Gesetz gezogenen Schranken gilt. Derartige Schranken finden sich heute in großer Zahl im nationalen wie im Unionsrecht. Bezweckt wird mit ihnen in der Mehrzahl der Fälle, in der durch Schuldverträge gestalteten Rechtswirklichkeit die Wertentscheidungen der Wirtschafts- und Sozialverfassung umzusetzen und einen Mindeststandard an konkreter Vertragsgerechtigkeit zu gewährleisten. Dadurch sollen vornehmlich Störungen der Vertragsgerechtigkeit, die durch das wirtschaftliche oder intellektuelle Übergewicht einer Partei verursacht werden können, verhindert oder doch nachträglich korrigiert werden.

Hervorzuheben ist die wachsende Zahl von Schranken für die inhaltliche Gestaltungsfreiheit, die sich vor allem aus der durch das Unionsrecht kontinuierlich verschärften Verbraucherschutzpolitik ergeben. Sie haben inzwischen ein derartiges Ausmaß angenommen, dass es üblich geworden ist, die Schuldverträge je nach der Beteiligung von Verbrauchern (§ 13 BGB) und Unternehmern (§ 14 BGB) in drei Gruppen einzuteilen, für die sich die Bezeichnungen business to consumer (B2C)-, business to business (B2B)- und consumer to consumer (C2C)-Verträge eingebürgert haben. In reiner Form gilt das BGB heute nur noch für Verträge allein zwischen Verbrauchern (C2C). Auch bei Verträgen zwischen Unternehmen (B2B) halten sich bisher die Schranken der Vertragsfreiheit mit Rücksicht auf die geringe Schutzbedürftigkeit der Mehrzahl der Unternehmen in Grenzen, während bei Verträgen, an denen Unternehmer als Sachleistungsschuldner und Verbraucher als Geldleistungsschuldner beteiligt sind (B2C), die engsten und zudem ständig verschärften Schranken der Vertragsfreiheit anzutreffen sind, weil hier der Schutz der Verbraucher gegen ihre verbreitete Übervorteilung durch Unternehmen am dringlichsten erscheint. Diese Entwicklung ist nicht unproblematisch. Der Preis des ständig verschärften Verbraucherschutzes durch eine Flut neuer Gesetze ist eine entsprechende kontinuierliche Einschränkung der Vertragsfreiheit eben auch der Verbraucher, über deren Sinnfälligkeit man durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann.

Vertragsprinzip