Das Amtsgericht Wuppertal hat 2023 ein Urteil erlassen, wonach Verbrauchern ein Widerrufsrecht gegen Zahnaligneranbietern zusteht. Auch wenn das Urteil in anonymisierter Form veröffentlicht wurde, ist es auf alle Zahnaligneanbieter wie DrSmile und SmileDirectClub anwendbar:
Amtsgericht Wuppertal Urteil vom 24.5.2023 – 39 C 33/22
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand – Urteil 2023: Widerrufsrecht bei DrSmile
Die Klägerin macht gegen die Beklagte aus abgetretenem Recht zahnärztliche Behandlungskosten geltend.
Die Beklagte begab sich am 19.02.2021 in die Praxisräume von … (Zessionarin) am Standort in Düsseldorf, um einen kostenlosen Beratungstermin hinsichtlich der Behandlung ihres Gebisses mit Zahnschienen wahrzunehmen. In diesem Termin wurde ein Scan der Zähne im Ober- und Unterkieferbereich durchgeführt.
Nach der Erstellung des Behandlungsplanes nahm ein/e Mitarbeiter/in der Zessionarin am 04.03.2021 mit der Beklagten telefonisch Kontakt auf. Am selben Tag wurde ihr eine E-Mail mit dem Behandlungsplan geschickt, der u.a. die Informationen über die Behandlungsdauer bzw. die Anzahl der benötigten Schienen und die Behandlungskosten enthielt.
Nachdem die Beklagte – was diese bestreitet – am Telefon angab. sich der Behandlung unterziehen zu wollen und den entsprechenden Button in dem Behandlungsplan anklickte, gab die Zessionarin die Zahnschienen in die Produktion und stellte der Beklagten ihre Leistungen unter dem 10.03.2021 mit einem Betrag von 2.190.00 € in Rechnung.
Die Beklagte nahm die ihr übersandten Zahnschienen nicht in Empfang und verweigerte den Ausgleich der Rechnung. Mit E-Mail vom 16.03.2021 wandte sich die Beklagte an die Zessionarin und teilte ihr mit, dass sie die Behandlung nicht mehr durchführen möchte, weil sie sich diese aufgrund ihres Jobverlustes nicht mehr leisten könne. Sie mache daher von ihrem „Rücktrittsrecht“ Gebrauch.
Die Klägerin ist der Ansicht, ein Widerrufsrecht stünde der Beklagten nicht zu, weil es sich um einen Vertrag über die Erstellung einer medizinischen Spezialanfertigung handele, bei welchem das Widerrufsrecht gesetzlich ausgeschlossen sei. Zudem habe die Vertragsanbahnung in den Praxisräumen stattgefunden, weswegen schon gar kein Fernabsatzgeschäft vorliege.
Die Klägerin beantragt.
1) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägenn 2.190.00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.04.2021 Zug-um-Zug gegen Übersendung der streitgegenständlichen Schienen (Aligner) zu zahlen und
2) festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Leistung (Übersendung der angefertigten streitgegenständlichen Schienen/Aligner) in Verzug befindet und
3) die Beklagte weiter zu verurteilen, an die Klägerin 7,50 € Mahngebühren sowie 308,60 € vorgerichtliche Anwaltsgebühren zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bestreitet zunächst die Aktivlegitimation der Klägerin. Hinter … stehe nicht die xxx GmbH, sondern die yyy GmbH. Diese sei ihre Vertragspartnerin geworden.
Überdies sei sie nicht passiv legitimiert. Sie habe den Vertragsschluss weder mündlich in dem Telefonat, noch per Doppelklick bestätigt.
Schließlich habe sie den Vertragsschluss wirksam widerrufen mit ihrer E-Mail vom 16.03.2021. Das Widerrufsrecht sei nicht ausgeschlossen, weil es sich bei dem streitgegenständlichen Behandlungsvertrag weder um einen Kauf- noch um einen Werklieferungsvertrag handele.
Das Gericht hat aufgrund des Beweisbeschlusses vom 14.02.2023/19.04.2023 Beweis erhoben über den Vertragsschluss durch Doppelklick sowie die Vertragsanbahnung in den Praxisräumen der Zedentin. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 19.04.2023 verwiesen. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und der zur Akte gereichten Unterlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe – Urteil 2023: Widerrufsrecht bei DrSmile
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Es kann dahinstehen, ob der streitgegenständliche Behandlungsvertrag am 04.03.2021 wirksam zwischen den Parteien geschlossen wurde. Denn jedenfalls stand der Beklagten gemäß § 312 g Abs. 1, 355 BGB ein Widerrufsrecht zu, welches sie mit ihrer E-Mail vom 16.03.2021 auch fristgerecht innerhalb von 14 Tagen nach dem streitigen Vertragsschluss (§ 355 Abs. 2 BGB) ausgeübt hat. Ihre Erklärung, dass sie von ihrem „Rücktrittsrecht“ Gebrauch mache, war als Widerrufserklärung auszulegen.
Der Vertrag – seinen wirksamen Abschluss unterstellt – kam unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (E-Mail und Telefon) zustande und ist somit als Fernabsatzvertrag gemäß § 312 c BGB einzuordnen. Zwar fand zuvor auch am 19.02.2021 ein persönlicher Kontakt zwischen der Beklagten und Mitarbeitenden der Zessionarin in deren Praxisräumen statt. In diesem Termin wurde der Vertrag jedoch nicht geschlossen und auch eine Vertragsanbahnung fand nicht statt. Eine solche ist nämlich nicht gegeben, wenn sich der Verbraucher in den Geschäftsräumen des Unternehmers lediglich über die Ware oder die Dienstleistung informiert, jedoch keine Verhandlungen stattfinden.
So liegt der Fall aber hier: Die Beklagte erschien zum kostenlosen Beratungstermin und einem Scan ihrer Zähne in den Praxisräumen der Zessionarin. Über die Vertragsgestaltung, also vor allem Dauer und Preis der Behandlung wurde noch gar nicht gesprochen und konnte in diesem Stadium auch noch nicht verhandelt werden, wie auch der Zeuge K. glaubhaft angab. Denn der genaue Behandlungsplan konnte erst aufgrund des Ergebnisses des Scans von den Ärztinnen/Ärzten der Zessionarin erstellt werden.
Die vor Ort von den Mitarbeitenden getätigten Ausführungen zum weiteren zeitlichen Ablauf sowie zur Kostenübernahme durch die Krankenkasse stellen nur allgemeine Informationen zur Dienstleistung der Zessionarin, nicht jedoch auf den konkreten Vertragsinhalt bezogene Erklärungen dar. Vor der Auswertung des Scans konnten solche Erklärungen weder verhandelt, noch abgegeben werden. Die eigentliche Vertragsanbahnung fand vielmehr erst in dem Telefongespräch statt, in welchem der Beklagten kurz vor dem behaupteten Vertragsschluss per E-Mail auf Basis des ihr geschickten Behandlungsplanes sämtliche relevanten Punkte der zahnärztlichen Behandlung erläutert wurden.
Das Widerrufsrecht war auch nicht gemäß § 312 g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen. Hiernach ist der Widerruf ausgeschlossen bei Verträgen über die Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind. Zwar handelt es sich bei den Zahnschienen um nicht vorgefertigte Ware, die speziell für die Beklagte angefertigt wurde.
Jedoch ist diese Vorschrift nur auf Kauf- und Werklieferungsverträge anwendbar, nicht jedoch auf Dienstverträge im Sinne der Verbraucherschutz EU-Richtlinie, worunter Dienst- und Werkverträge nach deutschem Recht fallen. Bei dem hier streitigen zahnärztlichen Behandlungsvertrag handelt es sich um einen Dienstvertrag, der nicht unter diese Vorschrift fällt. Dienstleister und Werkunternehmer werden hingegen allein durch § 357 a BGB geschützt, wonach ihnen ein Wertersatzanspruch zusteht, sofern eine entsprechende Belehrung erfolgte (wie hier nicht).
II.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO.
III.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Urteil 2023: Widerrufsrecht bei DrSmile – AG Wuppertal v. 24.5.2023 – 39 C 33/22